Orthodoxes Ökumene-Bekenntnis trotz Hardlinern in eigenen Reihen

Vertreter des Ökumenischen Patriarchats beim Weltkirchenrat in Genf, Erzbischof Job Getcha, im "Kathpress"-Interview über anti-ökumenische Bewegungen in einzelnen orthodoxen Kirchen, die Folgen des Panorthodoxen Konzils und den offiziellen katholisch-orthodoxen Dialog

Fundamentalistische, anti-ökumenische Bewegungen in einzelnen orthodoxen Kirchen sieht Erzbischof Job (Getcha) als ein, wenn nicht "das" große Problem innerhalb der Weltorthodoxie, das anstehende Reformen verhindert. Die Kirchenleitungen hätten Angst vor Hardlinern in den eigenen Reihen und scheuten innerkirchliche Konflikte, so Getcha im Interview mit "Kathpress". Trotzdem zeigte er sich grundsätzlich zuversichtlich. Zur Ökumene gebe es keine Alternative.

Der Erzbischof ist Vertreter des Ökumenischen Patriarchats beim Weltkirchenrat in Genf und Ko-Vorsitzender der Offiziellen Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission. Getcha hat dieser Tage Wien besucht, wo er u.a. an der Universität einen Vortrag über aktuelle Entwicklungen in der Orthodoxie und Chancen und Herausforderungen für die Ökumene hielt. Er traf sich zudem zu ausführlichen Beratungen mit den Verantwortlichen der Stiftung "Pro Oriente".

Gemischte Bilanz zum Konzil

Getcha nahm im "Kathpress"-Interview auch zum Panorthodoxen Konzil im vergangenen Juni auf Kreta Stellung. Von den 14 autokephalen orthodoxen Kirchen waren nur zehn nach Kreta gekommen. Die orthodoxen Kirchen von Russland, Georgien und Bulgarien sowie das Patriarchat von Antiochien waren der Versammlung ferngeblieben. Im Anschluss war dann beispielsweise auch in der Kirche von Griechenland Kritik an den Beschlüssen laut geworden.

Als "Erfolg" wolle er das Konzil insofern bewerten, als dass es überhaupt zustande gekommen war. Damit sei ein erster Schritt erfolgt. Das Konzil habe viele Probleme der Orthodoxen Kirche zwar noch nicht lösen können, doch es sei klar der Wunsch festgehalten worden, dass nun etwa alle sieben bis zehn Jahre eine solche konziliare Versammlung abgehalten werden sollten.

Dass es zwischen den orthodoxen Kirchen durch das Konzil noch mehr Konflikte gebe als vorher, sehe er nicht, so Bischof Getcha auf Anfrage. So hätten etwa an der 14. Vollversammlung der offiziellen orthodox-katholischen Dialogkommission im italienischen Chieti wenige Monate nach dem Konzil wieder alle orthodoxen Kirchen teilgenommen, außer der bulgarischen - "und die war vorher auch schon nicht dabei". Die jeweils 28 katholischen und orthodoxen Delegierten beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage nach einem gemeinsamen Verständnis von Synodalität und Primat in der Kirche.

Verständigungsprobleme eingeräumt

Der Erzbischof stellte auch hinsichtlich dieser Kommission in Abrede, dass es massive innerorthodoxe Konflikte gebe. In grundsätzlichen Glaubensfragen würden die Delegierten aller orthodoxen Kirche gemeinsame Positionen vertreten, "weil wir alle den gleichen Glauben haben". Dann räumte Getcha aber doch auch innerorthodoxe Probleme ein, aus dreierlei Gründen: Zum einen gebe es innerhalb der Orthodoxie keine gemeinsame Sprache, das könne bei schwierigen theologischen Materien zu Verständigungsproblemen führen. Zum anderen seien nicht immer alle anwesenden Delegierten auf der theologischen Höhe der Zeit. Und zum dritten - wieder das aktuelle Grundprobleme - sei bei den Delegierten mitunter auch große Sorge wegen fundamentalistischer Strömungen in den eigenen Reihen bzw. Kirchen zu bemerken. So würden Delegierte einzelner Kirchen manchen Aspekten persönlich durchaus gerne zustimmen, könnten dies aber aus Rücksicht auf Spannungen in der eigenen Kirche nicht tun.

Er sei grundsätzlich aber zuversichtlich, was die Arbeit der orthodox-katholischen Dialogkommission betrifft, so Getcha, der gemeinsam mit Kurienkardinal Kurt Koch den Vorsitz führt. Man dürfe freilich auch nicht den Fehler begehen, und die von der Kommission verabschiedeten Dokumente als perfekte Leitfäden hin zur Kircheneinheit betrachten. Die Dokumente seien schlicht eine Hilfe auf dem Weg dorthin; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Rein politischer Konflikt in Ukraine

Zur Ukraine meinte der Bischof, dass es sich nicht um einen kirchlichen oder theologischen, sondern rein politisch-nationalen Konflikt handle, noch weiter angeheizt durch den Krieg in der Donbas-Region. Dem Ökumenischen Patriarchat gehe es um die Einheit der Orthodoxen Kirche, nicht um eine Spaltung: "Die Kircheneinheit muss wieder gefunden werden", so Erzbischof Getcha wörtlich.

Die orthodoxe Kirche in der Ukraine ist in drei Strömungen gespalten: Die autonome ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, die dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. untersteht, das sogenannte "Kiewer Patriarchat", das sich im Zuge der 1991 erlangten staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine von Moskau abspaltete, und die sogenannte "autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche". Von der Weltorthodoxie wird nur die autonome ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats anerkannt.

Seitens der ukrainischen Politik gibt es in den letzten Jahren verstärkte Bestrebungen zur Gründung einer landesweiten ukrainischen orthodoxen Kirche, der vom Ökumenischen Patriarchen die Autokephalie verliehen werden soll. Diesem politischen Ansinnen erteilte Erzbischof Getcha im "Kathpress"-Interview aber vorerst eine Absage, da dies nur zu noch mehr Spannungen führen würde. Es brauche vielmehr Wege der Rückkehr zur kirchlichen Einheit. Eine solche sei Voraussetzung für jede Unabhängigkeit.

Orthodoxe Bischofskonferenzen

Er stellte generell in Abrede, dass in der Orthodoxie das Prinzip "eine Kirche- eine Nation" gelte. Das sei bloß eine "Versuchung", die vor allem durch die Herausbildung der Nationalstaaten in Osteuropa im 19. Jahrhundert aufkam, aber nicht das ureigene Kirchenverständnis der Orthodoxie. "Autokephalie" bedeute nicht nationale Selbständigkeit und völlige Unabhängigkeit. Die orthodoxe Kirche verstehe sich vielmehr als Gemeinschaft von lokalen Kirchen. Nachsatz: "Lokal bedeutet niemals national!". So könne es durchaus sein, dass es innerhalb einer lokalen Kirche unterschiedliche sprachliche Gemeinden gibt, alle stünden aber unter einer Jurisdiktion.

Das orthodoxe Strukturproblem war und ist vor allem auch in der Diaspora evident. In Westeuropa, Amerika und Australien leben orthodoxe Christen aus den verschiedensten orthodoxen Landeskirchen bunt zusammengewürfelt. Welche orthodoxe Kirche ist für diese Gläubigen zuständig? In der Praxis sind es in der Regel mehrere, was aber eigentlich dem orthodoxen Kirchenrecht widerspricht. Allein in Österreich gibt es sieben orthodoxe Kirche mit eigenen Gemeinden, zwei davon (griechisch-orthodox und serbisch-orthodox) haben sogar einen eigenen Bischof im Land.

Ein aus dem Jahr 2009 stammende gesamtorthodoxer Beschluss sieht die Bildung von orthodoxen Bischofskonferenzen für diese Diaspora-Länder vor. Damit soll die Einheit der Orthodoxen Kirche in diesen Ländern unterstrichen und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen orthodoxen Landeskirchen vor Ort gestärkt und institutionalisiert werden.

Die Einführung der Bischofskonferenzen habe sich bewährt, so Erzbischof Getcha. Freilich sei das nur ein Zwischenschritt hin zu neuen lokalen orthodoxen Kirchen. Das könne letztlich etwa auch zu einer Orthodoxen Kirche von Österreich führen. Dafür sei die Zeit aber noch nicht reif, so Getcha.

Auf die angespannte Situation in der Türkei angesprochen, meinte der Erzbischof schließlich diplomatisch, dass es für das Ökumenische Patriarchat, das seinen Sitz in Istanbul (Konstantinopel) hat, seit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 noch nie einfach gewesen sei. Die Kirche habe rund fünfeinhalb Jahrhunderte Erfahrung mit schwierigen Situationen, man stehe stets für den Dialog und für ein friedliches Zusammenleben und sei auch stets optimistisch.

Job Getcha stammt aus der ukrainischen Diaspora des Patriarchats von Konstantinopel in Kanada. 2001 wurde er nach Paris als Professor an das Theologische Institut Saint-Serge berufen, dessen Leitung er 2005 übernahm. 2013 wählte ihn die Synode des Pariser Exarchats für Gemeinden russischer Tradition, das zum Ökumenischen Patriarchat gehört, zu dessen Exarchen mit dem Titel eines Erzbischofs von Telmissos in Kleinasien. Bald stellten sich jedoch Zerwürfnisse zwischen Getcha und den Nachkommen russischer Emigranten ein, die den Grundstock des Exarchats bilden.

Patriarch Bartholomaios versetzte den Erzbischof daher 2015 nach Genf, wo er zum Vertreter des Ökumenischen Patriarchats beim Weltkirchenrat ernannt wurde. Die Versetzung von Erzbischof Job nach Genf lag auch deshalb nahe, weil er dort schon am Orthodoxen Institut für Doktoratsstudien in Chambésy lehrt.

O-Töne von Erzbischof Getcha sind in Kürze unter
www.kathpress.at/audio abrufbar.

Quelle: Katholische Presseagentur Kathpress, www.kathpress.at