Gemeinsames christlich-jüdisches Gedenken

Dem Gedenken an den jüdischen Huber-Tempel in Wien-Ottakring und an die jüdische Familie Kuffner war die heurige "Einstimmung in den Tag des Judentums" in Wien gewidmet. Vertreter der christlichen Kirchen, des Judentums und der Politik waren dazu am Mittwochabend in der Bezirksvorstehung Ottakring zusammengekommen. Der Huber-Tempel war eine von mehreren Synagogen in den Wiener Außenbezirken. Er wurde 1885/86 errichtet und bei der Pogromnacht im November 1938 zerstört. 1970 wurden die Ruinen der Synagoge abgetragen und ein Wohnhaus errichtet. Im November 2011 wurde schließlich an der Fassade des danach errichteten Hauses in der Hubergasse 8 eine Gedenktafel angebracht, die an den Huber-Tempel erinnert.

Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, sagte, dass die Dämonisierung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung deren Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben in der Nazizeit gesichert und ihnen das Recht auf Leben genommen habe. "Als es notwendig war, gab es zu wenig Gerechte, aber mehr, als wir wissen. Ihrer soll auch gedacht werden." Das gesellschaftliche und kirchliche Paradigma sei damals der Ausschluss der Anderen gewesen.
Jäggle stellte in diesem Zusammenhang die Frage nach Migration und Integration. "Woran kann man denn messen, ob Integration gelungen ist? Wenn alle das gleiche essen? Oder wenn die Mehrheit diese Menschen nicht mehr als störend empfindet?" Biblisch lasse sich kein Anspruch auf eine so verstandene Integration begründen. "Kein Bibeltext ist im Kontext einer homogenen Gesellschaft entstanden." Gemeinwohl werde nicht durch Einordnung oder Unterordnung verwirklicht.

2000 erstmals "Tag des Judentums"

Elisabeth Lutter vom Ökumene-Ausschuss des Vikariats Wien Stadt und der Initiative "Vernetzten Ökumene Wien West" erinnerte an den Beginn des "Tages des Judentums". Dieser wurde 2000 zum ersten Mal vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich begangen, nachdem er auf der zweiten Ökumenischen Versammlung 1997 in Graz proklamiert wurde. "Wir erinnern uns nicht nur an die gemeinsamen Wurzeln aller christlichen Konfessionen im Judentum. Wir wollen die Erinnerung an christlich-jüdisch gemeinsame Wurzeln mit unseren älteren Geschwistern im Glauben teilen." Sie erinnerte an die Mitschuld der damaligen, überwiegend christlichen Bevölkerung, da diese bei Schmähungen und Vernichtungen jüdischen Kulturguts und jüdischer Menschen, vor allem in der Schoah, zugeschaut habe. Durch das Gedenken solle ein friedliches Zusammenleben gefördert werden.

Lutter las auch in Vertretung für Awi Blumenfeld von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien-Krems dessen Schlussworte. Blumenfeld brachte in seinem Text zum Ausdruck, dass Erinnerung für die Juden ein zentrales Momentum sei.

"Verzeihen, aber nicht vergessen"

Der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej (Cilerdzic) betonte in seinen Ausführungen , dass die serbisch-orthodoxen Gottesdienste zu 80 Prozent auf jüdische Wurzeln zurückgingen. "80 Prozent der vorgetragenen Texte stammen aus den Psalmen Davids, Salomos, aus den biblischen Liedern." Er selbst sei früher überrascht gewesen, wie ökumenisch offen die Serben in Wien seien. "Darum wollen wir uns auch um die Begegnung mit dem Judentum bemühen."

Er erinnerte auch an jene Juden im ehemaligen Jugoslawien, die sich im Zweiten Weltkrieg den Partisanen angeschlossen hatten und so den Genozid überlebten. Nach dem Krieg sei es durch diese auch zu Bestrafungen der Denunzianten gekommen, die zuvor Juden an die deutschen Besatzer verraten hatten. Das später hier in Wien angekommene Gastarbeitervolk hatte, so Bischof Andrej, ein gewisses "historisches Gedächtnis". Im Gespräch mit Kathpress betonte Bischof Andrej, dass es wichtig sei, eine Gedenkkultur zu pflegen und zu erhalten: "Verziehen hat man ja schon. Aber man darf nicht vergessen. Verzeihen müssen wir, das hat Gott uns aufgegeben. Aber vergessen dürfen wir nicht." Ohne einen konzentrierten Blick in die Vergangenheit gebe es keine Zukunft.

Angesehene jüdische Familie

Die Historikerin Tina Walzer sprach über die jüdische Familie Kuffner. Diese zählte bis 1938 zu den angesehensten und einflussreichsten Familien Wiens. Sie besaß umfangreichen Hausbesitz in Wien und eine große Kunstsammlung. In ihrem Besitz befand sich etwa auch die Ottakringer-Brauerei. Moritz von Kuffner gründete 1884 die heute noch nach der Familie benannte Kuffner-Sternwarte in Wien.

Der Synagogenfoorscher Pierre Genee stellte in seinem Vortrag den Ottakringer Huber-Tempel vor, der während der November-Pogrome 1938 völlig zerstört und nun anhand von Computersimulationen gezeigt wurde. Der Tempel wurde der jüdischen Gemeinde von Ignaz von Kuffner gespendet und nach den Plänen des Architekten Ludwig Tischlers gebaut. Den Namen erhielt der Tempel aufgrund seines Standortes in der Hubergasse. "Es ist ein typischer Tempel einer Vorortegemeinde. Die Wiener Vororte wurden ja erst 1890 eingemeindet", so Genee. Vorher bildeten sie eigene Kultusgemeinden, in denen mehrheitlich die jüdische Mittelschicht vertreten war. Bemerkenswert an dem Tempel sei gewesen, dass er mehr wie ein Palais und nicht wie ein sakrales Gebäude ausgesehen habe.

Christiane Wenckheim, Vorstandsvorsitzende der Ottakringer Brauerei, betonte sowohl Pflicht als auch Chancen, aus der Vergangenheit zu lernen. Um die Erinnerung und das Wissen wach zu halten, seien im Juni 2018 zwei Gedenktafeln auf dem Areal der Brauerei angebracht worden. "Diese beiden Tafel sollen uns daran erinnern, was es bedeutet, Mensch zu sein", so Wenckheim.

Der Beauftragte für die christlich-jüdische Zusammenarbeit in der Erzdiözese Wien, Dechant Ferenc Simon, stellte den Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit vor. Heute sei der Ausschuss hauptsächlich in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Dialog öffentlich tätig.

Eva Weißmann, SP-Bezirksvorsteher-Stellvertreterin in Ottakring, würdigte die Initiative der christlichen Kirchen, sich der eigenen historischen Verantwortung zu stellen - "so wie das auch die gesamte österreichische Gesellschaft zu tun hat". Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und die Gewalt der Sprache, die oft zur Gewalt des Handelns führe, dürfen heute keinen Platz haben, so Weißmann.

Quelle: kathpress