DIE SCHOAH HAT TIEFE RISSE HINTERLASSEN
Gemeinsames Statement der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und des Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome (9. November 2018)
Anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome und in Erinnerung an das Versagen der Kirchen und der Gesellschaft insgesamt, das in den Gräueltaten des 9. Novembers 1938 in unfassbarer Weise sichtbar wurde, haben die Israelitische Kultusgemeinde Wien und der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Christen und Juden bekennen sich heute dazu, gemeinsam im Gespräch zu bleiben und sich für Frieden und gegen jegliche Gewalt und Ausgrenzung einzusetzen.
Die gemeinsame Erklärung hat folgenden Wortlaut:
Anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome und in Erinnerung an das Versagen der Kirchen und der Gesellschaft insgesamt, das in den Gräueltaten des 9. Novembers 1938 in unfassbarer Weise sichtbar wurde, haben die Israelitische Kultusgemeinde Wien und der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Christen und Juden bekennen sich heute dazu, gemeinsam im Gespräch zu bleiben und sich für Frieden und gegen jegliche Gewalt und Ausgrenzung einzusetzen.
Die gemeinsame Erklärung hat folgenden Wortlaut:
Eine runde Zahl macht keinen Unterschied. Ob es jetzt 73, 79 oder 80 Jahre her ist, immer bleibt die Tatsache unverändert, dass in der Nacht des 9. November 1938 das Angesicht Österreichs grundlegend verändert wurde. Bis heute fehlen die Menschen, die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen. War die jüdische Gemeinde davor ein Teil der österreichischen Gesellschaft und Kulturlandschaft gewesen, so begann mit dieser Nacht die Wandlung hin zu einem weitgehend synagogen- und judenleeren Staat.
Die runde Zahl ändert nichts an der Sache. Aber sie ist Anlass, uns gemeinsam zu äußern, Jüdinnen und Juden und Christinnen und Christen. Wir sprechen aus: Die Schoah hat tiefe Risse hinterlassen.
Wir spüren sie heute in der geringen Größe der jüdischen Gemeinden: Neffen und Nichten, Väter und Mütter, Onkel und Tanten, die es heute geben hätte sollen, konnten nie geboren werden. Wir spüren diesen Verlust in der christlich-jüdischen Begegnung und im alltäglichen Zusammenleben.
Wir nehmen wahr, dass sich oft die Dialogerwartungen von interessierten Menschen aus den christlichen Kirchen nicht erfüllen können, weil die Gesprächspartner_innen als Gegenüber fehlen.
Wir spüren die Last, die die Täter_innen hinterlassen haben, indem sie sich weigerten, Verantwortung zu übernehmen.
Wir nehmen wahr, dass der Dialog selbst auch von jungen Christinnen und Christen von Schuldgefühlen geprägt ist oder von einer Opfer-Täter-Umkehr belastet wird. Wir nehmen wahr, dass junge Menschen neugierig aufeinander zugehen möchten und neue Fragen miteinander ansprechen möchten: Welche Probleme haben Jüdinnen und Juden als Minderheit in einem christlich geprägten Land? Wie formuliert sich eine christliche Glaubensidentität mit dem Wissen, dass vor allem jüdische Menschen die christliche Urkirche mitgegründet und gestaltet haben?
Wir sind der Überzeugung, dass das Beste, das wir nun aus dieser schwierigen Situation heute machen können, ist, den seit der Schoah begonnenen christlich-jüdischen Dialog mutig und noch verstärkt weiterzuführen.
Wir sind guter Zuversicht, dass wir im Austausch auf gleicher Augenhöhe miteinander problematische Theologien und Ansichten besprechen, verstehen und verändert können.
Die jüdisch-christliche Zusammenarbeit möchte in der heutigen Gesellschaft wirksam werden, als eine starke Stimme für die Menschenfreundlichkeit unserer Religionen und für ein gutes Zusammenleben. Unsere Religionen verpflichten uns, Fremde zu lieben - wobei daran erinnert werden soll, dass 1938 die jüdischen Nachbarn meist keine Fremden waren -, die Schöpfung zu bewahren und eine gerechte Gesellschaft zu gestalten. In Erinnerung an das Versagen von Kirche und Gesellschaft, das in den Untaten des 9. Novembers 1938 entsetzlich deutlich wurde, bekennen wir uns gemeinsam dazu, im Gespräch zu bleiben, den Frieden zu suchen und jede Ausgrenzung und Gewalt zu verurteilen.
Quelle: http://www.oekumene.at
Die runde Zahl ändert nichts an der Sache. Aber sie ist Anlass, uns gemeinsam zu äußern, Jüdinnen und Juden und Christinnen und Christen. Wir sprechen aus: Die Schoah hat tiefe Risse hinterlassen.
Wir spüren sie heute in der geringen Größe der jüdischen Gemeinden: Neffen und Nichten, Väter und Mütter, Onkel und Tanten, die es heute geben hätte sollen, konnten nie geboren werden. Wir spüren diesen Verlust in der christlich-jüdischen Begegnung und im alltäglichen Zusammenleben.
Wir nehmen wahr, dass sich oft die Dialogerwartungen von interessierten Menschen aus den christlichen Kirchen nicht erfüllen können, weil die Gesprächspartner_innen als Gegenüber fehlen.
Wir spüren die Last, die die Täter_innen hinterlassen haben, indem sie sich weigerten, Verantwortung zu übernehmen.
Wir nehmen wahr, dass der Dialog selbst auch von jungen Christinnen und Christen von Schuldgefühlen geprägt ist oder von einer Opfer-Täter-Umkehr belastet wird. Wir nehmen wahr, dass junge Menschen neugierig aufeinander zugehen möchten und neue Fragen miteinander ansprechen möchten: Welche Probleme haben Jüdinnen und Juden als Minderheit in einem christlich geprägten Land? Wie formuliert sich eine christliche Glaubensidentität mit dem Wissen, dass vor allem jüdische Menschen die christliche Urkirche mitgegründet und gestaltet haben?
Wir sind der Überzeugung, dass das Beste, das wir nun aus dieser schwierigen Situation heute machen können, ist, den seit der Schoah begonnenen christlich-jüdischen Dialog mutig und noch verstärkt weiterzuführen.
Wir sind guter Zuversicht, dass wir im Austausch auf gleicher Augenhöhe miteinander problematische Theologien und Ansichten besprechen, verstehen und verändert können.
Die jüdisch-christliche Zusammenarbeit möchte in der heutigen Gesellschaft wirksam werden, als eine starke Stimme für die Menschenfreundlichkeit unserer Religionen und für ein gutes Zusammenleben. Unsere Religionen verpflichten uns, Fremde zu lieben - wobei daran erinnert werden soll, dass 1938 die jüdischen Nachbarn meist keine Fremden waren -, die Schöpfung zu bewahren und eine gerechte Gesellschaft zu gestalten. In Erinnerung an das Versagen von Kirche und Gesellschaft, das in den Untaten des 9. Novembers 1938 entsetzlich deutlich wurde, bekennen wir uns gemeinsam dazu, im Gespräch zu bleiben, den Frieden zu suchen und jede Ausgrenzung und Gewalt zu verurteilen.
Quelle: http://www.oekumene.at