Wien: Gedenken an jüdisches Gemeindeleben vor 1938
18.01.18 Judentum
Vertreter der Kirchen bekennen christliche Schuldgeschichte am Antisemitismus - Kultusgemeinde-Generalsekretär Fastenbauer mahnt gemeinsame Wachsamkeit von Christen und Juden gegen Antisemitismus ein
Der Erinnerung an das jüdische Gemeindelebens in Wien-Hernals vor 1938 war am Dienstagabend in der Bezirksvorstehung eine Veranstaltung gewidmet. Vertreter von katholischer und evangelischer Kirche, der Kultusgemeinde und der Politik ergriffen dabei das Wort. Evelyn Adunka, Autorin des Buches "Jüdisches Leben in der Wiener Vorstadt - Ottakring und Hernals", berichtete, dass damals von den 175.000 Mitgliedern der Wiener Kultusgemeinde 2,6 Prozent, also etwa 4.500 Menschen, in Ottakring, und 2 Prozent in Hernals lebten. Die Veranstaltung fand im Vorfeld des "Tages des Judentums" statt, den die christlichen Kirchen immer am 17. Jänner begehen.
"Das Christentum ist ohne Judentum nicht zu denken, das Neue Testament ist ohne das Alte Testament nicht zu verstehen", sagte Dechant Karl Engelmann, Pfarrer der Wiener Kalvarienbergkirche. Er betonte das in der Zwischenkriegszeit starke soziale Engagement der jüdischen Gemeinde in Hernals. Man dürfe zugleich nicht verschweigen, dass es in dieser Zeit auch in Hernals Antisemitismus gegeben habe, räumte Engelmann ein. "Der Antisemitismus wurde auch von den christlichen Kirchen aufgebaut. Das müssen und dürfen wir beschämend zugeben", so der Dechant. Heute sei man zu seiner Freude viel weiter: "Der eine Gott, der uns verbindet, schaut weder auf die Rasse, noch auf die Religion, sondern auf das Herz des Menschen."
Prof. Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, sagte, dass die Zerstörung jüdischer Gemeindehäuser politisch organisiert und von der Bevölkerung toleriert und akzeptiert wurde. "In kirchlichen Chroniken aus dieser Zeit finden sich darüber kaum Notizen. Es war nicht erwähnenswert." Mit der Zerstörung wurde auch der Hernalser jüdischen Gemeinde die Heimat genommen. Jüdische Gemeinden seien mit der Zerstörung ihrer Gebäude unsichtbar gemacht worden.
Verbrechen, die man nicht für möglich hielt
Vom Raub der staatsbürgerlichen Rechte an jüdischen Bürgern bis zur Zerstörung ihrer Gebäude habe es nur neun Monate gedauert. Auf dem "furchtbar fruchtbaren" Boden der traditionellen christlichen Lehre von der Verachtung dem jüdischen Volk gegenüber seien Verbrechen möglich geworden, die zu wenige für möglich gehalten haben, so Jäggle. Im Gedenkjahr 2018 sei es wichtig, eine Einstimmung wie diese Veranstaltung zum Gedenken zu haben.
Der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Raimund Fastenbauer, erwähnte, dass es in den Bezirken Hernals und Ottakring jüdische Vereine für Krankenbesuche und die rituelle Bestattung Verstorbener gegeben habe. Ein weiteres wichtiges Element jüdischen Gemeindelebens sei die "Wohltätigkeit per se". "Männer und Frauen sind dazu verpflichtet, diese Wohltätigkeit auszuüben." Ausgangspunkt dieses Engagements sei die soziale Gerechtigkeit.
Wandel bei den Katholiken
Im Gespräch mit "Kathpress" am Rande der Veranstaltung betonte Fastenbauer, dass in den letzten Jahrzehnten von den christlichen Kirchen ein Weg der Aufarbeitung des christlichen Antisemitismus gegangen sei. Das sei nicht immer so gewesen. In der Zeit vor seiner Matura 1968 habe er öfter dem katholischen Religionsunterreicht beigewohnt: "Da hat der Religionsprofessor immer gesagt, dass der Staat Israel nicht lange bestehen wird, weil die Juden als Strafe für die Kreuzigung Christi in der ganzen Welt sein sollen. Heute würde das kein katholischer Katechet mehr im Unterricht bringen."
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei aber viel passiert. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und eines wieder steigenden Antisemitismus müsse man aber wachsam sein. Fastenbauer: "Das müssen wir gemeinsam tun." Die Geschichte des Antisemitismus, die in der Shoah gipfelte, dürfe kein Teil der Geschichte werden, wie das antike Rom einer sei, sondern: "Wir müssen daraus die richtigen Schlüsse für unser Verhalten in Gegenwart und Zukunft ziehen."
Jüdisches Totengebet und Friedensbitten
Die Hernalser Bezirksvorsteherin Ilse Pfeffer äußerte sich erfreut, dass der "Tag des Judentums" zum ersten Mal in Hernals begangen wird. "Hernals war schon immer ein Schmelzpunkt unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse", so Pfeffer. Auch sie erinnerte daran, dass jüdische Mitbürger in der Zwischenkriegszeit mitgeholfen haben, das Leid der von Armut betroffenen Menschen zu lindern.
Elisabeth Lutter vom Wiener Vikariatsausschuss Ökumene wies auf das Gedenkjahr 2018 hin, wo sich die Novemberpogrome von 1938 zum 80. Mal jähren. Mit diesen Pogromen habe die systematische Verfolgung jüdischer Menschen begonnen, die dann in den Holocaust führte. Vor diesem historischen Hintergrund seien Christen und Juden heute hier versammelt, um gemeinsam Gedenk- und Trauerarbeit zu leisten. "Diese gemeinsame Stunde soll dazu beitragen, dass unsere und folgende Generationen den Mut aufbringen, unterschiedliche Bedürfnisse nach Trauer und Erinnerung in ein neues, positives aufeinander zugehen zu verwandeln", so Lutter. Es solle versucht werden, neues Vertrauen aufzubauen.
Michael Bubik von der Diakonie erinnerte schließlich daran, dass die Diakonie ihren Ausgangspunkt in Hernals hatte. Diakonie, Gebet und Gottesdienst gehören zusammen, so Bubik, da Gebet und Diakonie auch Gottesdienst seien. "Dieser Gedanke ist Christen und Juden gemeinsam."
Im Rahmen der Veranstaltung wurde u.a. das jüdische Totengebet auf hebräisch gesungen und auf deutsch gelesen. Friedensbitten wurden u.a. vom Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), dem evangelisch-reformierten Landessuperintendenten Thomas Hennefeld, und dem katholischen Pfarrer Wolfgang Kimmel vorgetragen.
O-Töne von der Veranstaltung stehen in Kürze unter www.kathpress.at/audio zum Download bereit.
Zur "Weltgebetswoche für die Einheit der Christen" bzw. zum "Tag des Judentums" publiziert "Kathpress" ein Themenpaket, das laufend erweitert wird und unter www.kathpress.at/oekumene abrufbar ist.
Verbrechen, die man nicht für möglich hielt
Vom Raub der staatsbürgerlichen Rechte an jüdischen Bürgern bis zur Zerstörung ihrer Gebäude habe es nur neun Monate gedauert. Auf dem "furchtbar fruchtbaren" Boden der traditionellen christlichen Lehre von der Verachtung dem jüdischen Volk gegenüber seien Verbrechen möglich geworden, die zu wenige für möglich gehalten haben, so Jäggle. Im Gedenkjahr 2018 sei es wichtig, eine Einstimmung wie diese Veranstaltung zum Gedenken zu haben.
Der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Raimund Fastenbauer, erwähnte, dass es in den Bezirken Hernals und Ottakring jüdische Vereine für Krankenbesuche und die rituelle Bestattung Verstorbener gegeben habe. Ein weiteres wichtiges Element jüdischen Gemeindelebens sei die "Wohltätigkeit per se". "Männer und Frauen sind dazu verpflichtet, diese Wohltätigkeit auszuüben." Ausgangspunkt dieses Engagements sei die soziale Gerechtigkeit.
Wandel bei den Katholiken
Im Gespräch mit "Kathpress" am Rande der Veranstaltung betonte Fastenbauer, dass in den letzten Jahrzehnten von den christlichen Kirchen ein Weg der Aufarbeitung des christlichen Antisemitismus gegangen sei. Das sei nicht immer so gewesen. In der Zeit vor seiner Matura 1968 habe er öfter dem katholischen Religionsunterreicht beigewohnt: "Da hat der Religionsprofessor immer gesagt, dass der Staat Israel nicht lange bestehen wird, weil die Juden als Strafe für die Kreuzigung Christi in der ganzen Welt sein sollen. Heute würde das kein katholischer Katechet mehr im Unterricht bringen."
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei aber viel passiert. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und eines wieder steigenden Antisemitismus müsse man aber wachsam sein. Fastenbauer: "Das müssen wir gemeinsam tun." Die Geschichte des Antisemitismus, die in der Shoah gipfelte, dürfe kein Teil der Geschichte werden, wie das antike Rom einer sei, sondern: "Wir müssen daraus die richtigen Schlüsse für unser Verhalten in Gegenwart und Zukunft ziehen."
Jüdisches Totengebet und Friedensbitten
Die Hernalser Bezirksvorsteherin Ilse Pfeffer äußerte sich erfreut, dass der "Tag des Judentums" zum ersten Mal in Hernals begangen wird. "Hernals war schon immer ein Schmelzpunkt unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse", so Pfeffer. Auch sie erinnerte daran, dass jüdische Mitbürger in der Zwischenkriegszeit mitgeholfen haben, das Leid der von Armut betroffenen Menschen zu lindern.
Elisabeth Lutter vom Wiener Vikariatsausschuss Ökumene wies auf das Gedenkjahr 2018 hin, wo sich die Novemberpogrome von 1938 zum 80. Mal jähren. Mit diesen Pogromen habe die systematische Verfolgung jüdischer Menschen begonnen, die dann in den Holocaust führte. Vor diesem historischen Hintergrund seien Christen und Juden heute hier versammelt, um gemeinsam Gedenk- und Trauerarbeit zu leisten. "Diese gemeinsame Stunde soll dazu beitragen, dass unsere und folgende Generationen den Mut aufbringen, unterschiedliche Bedürfnisse nach Trauer und Erinnerung in ein neues, positives aufeinander zugehen zu verwandeln", so Lutter. Es solle versucht werden, neues Vertrauen aufzubauen.
Michael Bubik von der Diakonie erinnerte schließlich daran, dass die Diakonie ihren Ausgangspunkt in Hernals hatte. Diakonie, Gebet und Gottesdienst gehören zusammen, so Bubik, da Gebet und Diakonie auch Gottesdienst seien. "Dieser Gedanke ist Christen und Juden gemeinsam."
Im Rahmen der Veranstaltung wurde u.a. das jüdische Totengebet auf hebräisch gesungen und auf deutsch gelesen. Friedensbitten wurden u.a. vom Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), dem evangelisch-reformierten Landessuperintendenten Thomas Hennefeld, und dem katholischen Pfarrer Wolfgang Kimmel vorgetragen.
O-Töne von der Veranstaltung stehen in Kürze unter www.kathpress.at/audio zum Download bereit.
Zur "Weltgebetswoche für die Einheit der Christen" bzw. zum "Tag des Judentums" publiziert "Kathpress" ein Themenpaket, das laufend erweitert wird und unter www.kathpress.at/oekumene abrufbar ist.