"Tag des Judentums": Kirchen gegen antisemitische "Fake News"
20.01.20 Tag des Judentums
"Wer 'Fake News' über Juden verbreitet, ist kein Christ": Das hat Dechant Ferenc Simon, Vertreter der katholischen Kirche im Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, bei der Einstimmung in den "Tag des Judentums" am Donnerstagabend in Wien hervorgehoben. Das jährlich am 17. Jänner begangene Gedenken der christlichen Kirchen sei gerade jetzt nötig, angesichts von neuerlicher Hetze gegen Juden in europäischen Ländern bis hin zu offener Gewalt, so der katholische Geistliche im Festsaal der Bezirksvorstehung Brigittenau. Die Veranstaltung solle klarstellen, "dass wir Antisemitismus niemals, weder in der Vergangenheit noch in Gegenwart und Zukunft, dulden".
Simon verwies auf Gewalttaten an der jüdischen Bevölkerung, zu welchen die Verbreitung von Falschnachrichten über sie im Laufe der Geschichte geführt hätten; darunter neben den Gräueln des Holocausts auch frühere Verfolgungen, Pogrome und zweimalige Ausweisungen aus Wien in den Jahren 1420 und 1670. Auch die Kirchen hätten sich daran beteiligt: Vor 350 Jahren sei an der Stelle der einstigen Synagoge die Pfarrkirche St. Leopold errichtet worden, erinnerte der Dechant. Koordinierungsausschuss-Präsident Martin Jäggle verwies darauf, dass die in Wien-Brigittenau liegende Pfarre St. Johannes Kapristan bis heute den Namen eines "Hetzers gegen Juden" trage.
Gemeinsam mit dem altkatholischen Pfarrer Thomas Wetschka trug Simon bei dem interreligiösen Abend ein Schuldbekenntnis und Vergebungsbitten der christlichen Kirchen vor. Gerne hätten sich die Kirchen Gaben wie das Alte Testament, den Gottesdienst, die Verheißungen und den Bund Gottes zu seinem Volk Israel angeeignet, hieß es darin. An diesem hätten sie jedoch jahrhundertelang "namenloses Leid und Tod" verursacht: Christen hätten sich am Volk Israel "schuldig gemacht" und seien auch heute "nicht wachsam genug, wenn Menschen wegen ihrer jüdischen Herkunft oder ihres Glaubens angefeindet und verachtet werden".
Erinnern an einstige Vielfalt
Der Gedenkabend wurde heuer zum siebten Mal veranstaltet. Jährlich findet er in einem anderen Wiener Gemeindebezirk statt und ruft dessen jeweilige jüdische Geschichte in Erinnerung. Wien-Brigittenau habe früher gemeinsam mit der Leopoldstadt die so genannte "Mazzes-Insel" gebildet, dem Gebiet mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung Wiens, hob die Moderatorin des Abends, Elisabeth Lutter, hervor. Deutlich machten dies auch jüdische Schulen wie das heutige Gymnasium Karajangasse, das in NS-Zeiten bei laufendem Betrieb als Anhaltegefängnis fungierte, wie auch die beiden Synagogen in der Kluckygasse und Kaschlgasse, deren Gedenken die Veranstaltung zum "Tag des Judentums" gewidmet war.
Benjamin Nägele, der neue Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), bezeichnete den "Tag des Judentums" als wichtigen Anstoß der christlichen Kirchen, um an das einst vielfältige jüdische Leben in Österreich zu erinnern. Juden und Christen verbinde u.a. die im Alten Testament beschriebene "Sorge um Gerechtigkeit", die auch das gemeinsame "Nie wieder!" zum Antisemitismus sagen ließen. Nägele würdigte zudem die Bemühungen des Brigittenauer Bezirks, an das vielfältige jüdische Leben von einst zu erinnern und die eigene Geschichte aufzuarbeiten, u.a. durch historische Stadtspaziergänge und eine seit 1999 bestehende Gedenkausstellung im Brigittenauer Gymnasium.
Wie schwer es sei, Urteile über Akteure von einst zu fällen, zeigten Beiträge der Historikerin Tina Walzer und des Mediziners und Synagogen-Forschers Pierre Genee, die u.a. die Rolle von Benjamin Murmelstein (1905-1989) beleuchteten. Der aus Galizien stammende Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Brigittenauer Tempel und spätere Judenälteste im Ghetto Theresienstadt kooperierte mit den Nationalsozialisten als Leiter deren Wiener "Auswanderungsabteilung" und sei stolz auf die "gute Zusammenarbeit" mit dem im NS-Regime für die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden zuständigen Adolf Eichmann gewesen - auch bei den KZ-Transporten, wie Walzer erklärte. Genee betonte indes, Murmelsteins Kontakt zur Gestapo habe 70.000 Juden zur legalen Ausreise verholfen und somit gerettet. Er sei ein "Sinnbild jüdischer Tragik" jener Zeit gewesen.
Lernprozess muss weitergehen
Nägeles Vorgänger als IKG-Generalsekretär, Raimund Fastenbauer, hob Fortschritte im Umgang mit dem jüdischen Erbe und der Geschichte hervor, warnte zugleich aber vor neuen Bedrohungstendenzen. So habe sich in Österreich einerseits der schulische Zeitgeschichte-Unterricht in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert, der Besuch der Gedenkstätte Mauthausen sei zum Teil der Schulbildung geworden, das Weltkriegsende-Gedenken am 8. Mai werde mittlerweile als "Tag der Befreiung" gefeiert und auch die christlichen Kirchen hätten mit dem Zweiten Vaticanum eine deutliche "Umkehr" in ihrer Beziehung zum Judentum vollzogen. "Es ist etwas geschehen. Doch leider bedurfte es dazu der Shoah", so Fastenbauer.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen sei Wachsamkeit gegenüber neuem Antisemitismus "von rechts, von links und von islamistischer Seite" jedoch unbedingt angebracht, hob der Alt-Generalsekretär der IKG hervor. "In Frankreich packen Juden heute wieder ihre Koffer, und in der EU-Hauptstadt Brüssel wird Juden geraten, besser keine Kippa zu tragen", so Fastenbauer. In Ostdeutschland erstarke die Neonazi-Szene wieder und an Vorfällen wie in der Synagoge von Halle werde sichtbar, "dass psychopathische Einzeltäter eine latente Bedrohung darstellen".
Besondere Sorgen bereiten Fastenbauer muslimische Immigranten und Flüchtlinge, die "nicht von Geburt an Antisemiten sind, doch antisemitisches Gedankengut in ihrer Heimat mitbekommen haben"; ebenso auch die Nachkommen der Gastarbeiter in zweiter oder dritter Generation, die "wegen mangelhafter Integration anfällig für Radikalisierung" seien. Derselbe Lernprozess, den das Christentum gemacht habe, müsse auch der Islam durchlaufen, forderte der ehemalige IKG-Generalsekretär. "Auch im Koran und in den Hadithen müssen antisemitische Auslegungen überwunden werden."
Wurzeln deutlich machen
Die Initiative zum "Tag des Judentums" geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Auch in Italien, Polen und den Niederlanden wird der Tag des Judentums begangen. Das Datum dafür wurde bewusst gewählt: So sollen die Kirchen den Geist dieses Tages in die anschließende weltweite "Gebetswoche für die Einheit der Christen" (18. bis 25. Jänner) weiter tragen; denn bei allen Trennungen der Christenheit untereinander sei allen Kirchen gemeinsam, dass sie im Judentum verwurzelt sind, so die Veranstalter. Die Wiener Einstimmung zu dem Tag wurde von der Initiative "Vernetzte Ökumene Wien West" in Zusammenarbeit mit dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltet.
Gesammelte Berichte zum "Tag des Judentums" sowie zur "Gebetswoche um die Einheit der Christen" bietet ein Kathpress-Themenschwerpunkt unter www.kathpress.at/oekumene
Simon verwies auf Gewalttaten an der jüdischen Bevölkerung, zu welchen die Verbreitung von Falschnachrichten über sie im Laufe der Geschichte geführt hätten; darunter neben den Gräueln des Holocausts auch frühere Verfolgungen, Pogrome und zweimalige Ausweisungen aus Wien in den Jahren 1420 und 1670. Auch die Kirchen hätten sich daran beteiligt: Vor 350 Jahren sei an der Stelle der einstigen Synagoge die Pfarrkirche St. Leopold errichtet worden, erinnerte der Dechant. Koordinierungsausschuss-Präsident Martin Jäggle verwies darauf, dass die in Wien-Brigittenau liegende Pfarre St. Johannes Kapristan bis heute den Namen eines "Hetzers gegen Juden" trage.
Gemeinsam mit dem altkatholischen Pfarrer Thomas Wetschka trug Simon bei dem interreligiösen Abend ein Schuldbekenntnis und Vergebungsbitten der christlichen Kirchen vor. Gerne hätten sich die Kirchen Gaben wie das Alte Testament, den Gottesdienst, die Verheißungen und den Bund Gottes zu seinem Volk Israel angeeignet, hieß es darin. An diesem hätten sie jedoch jahrhundertelang "namenloses Leid und Tod" verursacht: Christen hätten sich am Volk Israel "schuldig gemacht" und seien auch heute "nicht wachsam genug, wenn Menschen wegen ihrer jüdischen Herkunft oder ihres Glaubens angefeindet und verachtet werden".
Erinnern an einstige Vielfalt
Der Gedenkabend wurde heuer zum siebten Mal veranstaltet. Jährlich findet er in einem anderen Wiener Gemeindebezirk statt und ruft dessen jeweilige jüdische Geschichte in Erinnerung. Wien-Brigittenau habe früher gemeinsam mit der Leopoldstadt die so genannte "Mazzes-Insel" gebildet, dem Gebiet mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung Wiens, hob die Moderatorin des Abends, Elisabeth Lutter, hervor. Deutlich machten dies auch jüdische Schulen wie das heutige Gymnasium Karajangasse, das in NS-Zeiten bei laufendem Betrieb als Anhaltegefängnis fungierte, wie auch die beiden Synagogen in der Kluckygasse und Kaschlgasse, deren Gedenken die Veranstaltung zum "Tag des Judentums" gewidmet war.
Benjamin Nägele, der neue Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), bezeichnete den "Tag des Judentums" als wichtigen Anstoß der christlichen Kirchen, um an das einst vielfältige jüdische Leben in Österreich zu erinnern. Juden und Christen verbinde u.a. die im Alten Testament beschriebene "Sorge um Gerechtigkeit", die auch das gemeinsame "Nie wieder!" zum Antisemitismus sagen ließen. Nägele würdigte zudem die Bemühungen des Brigittenauer Bezirks, an das vielfältige jüdische Leben von einst zu erinnern und die eigene Geschichte aufzuarbeiten, u.a. durch historische Stadtspaziergänge und eine seit 1999 bestehende Gedenkausstellung im Brigittenauer Gymnasium.
Wie schwer es sei, Urteile über Akteure von einst zu fällen, zeigten Beiträge der Historikerin Tina Walzer und des Mediziners und Synagogen-Forschers Pierre Genee, die u.a. die Rolle von Benjamin Murmelstein (1905-1989) beleuchteten. Der aus Galizien stammende Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Brigittenauer Tempel und spätere Judenälteste im Ghetto Theresienstadt kooperierte mit den Nationalsozialisten als Leiter deren Wiener "Auswanderungsabteilung" und sei stolz auf die "gute Zusammenarbeit" mit dem im NS-Regime für die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden zuständigen Adolf Eichmann gewesen - auch bei den KZ-Transporten, wie Walzer erklärte. Genee betonte indes, Murmelsteins Kontakt zur Gestapo habe 70.000 Juden zur legalen Ausreise verholfen und somit gerettet. Er sei ein "Sinnbild jüdischer Tragik" jener Zeit gewesen.
Lernprozess muss weitergehen
Nägeles Vorgänger als IKG-Generalsekretär, Raimund Fastenbauer, hob Fortschritte im Umgang mit dem jüdischen Erbe und der Geschichte hervor, warnte zugleich aber vor neuen Bedrohungstendenzen. So habe sich in Österreich einerseits der schulische Zeitgeschichte-Unterricht in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert, der Besuch der Gedenkstätte Mauthausen sei zum Teil der Schulbildung geworden, das Weltkriegsende-Gedenken am 8. Mai werde mittlerweile als "Tag der Befreiung" gefeiert und auch die christlichen Kirchen hätten mit dem Zweiten Vaticanum eine deutliche "Umkehr" in ihrer Beziehung zum Judentum vollzogen. "Es ist etwas geschehen. Doch leider bedurfte es dazu der Shoah", so Fastenbauer.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen sei Wachsamkeit gegenüber neuem Antisemitismus "von rechts, von links und von islamistischer Seite" jedoch unbedingt angebracht, hob der Alt-Generalsekretär der IKG hervor. "In Frankreich packen Juden heute wieder ihre Koffer, und in der EU-Hauptstadt Brüssel wird Juden geraten, besser keine Kippa zu tragen", so Fastenbauer. In Ostdeutschland erstarke die Neonazi-Szene wieder und an Vorfällen wie in der Synagoge von Halle werde sichtbar, "dass psychopathische Einzeltäter eine latente Bedrohung darstellen".
Besondere Sorgen bereiten Fastenbauer muslimische Immigranten und Flüchtlinge, die "nicht von Geburt an Antisemiten sind, doch antisemitisches Gedankengut in ihrer Heimat mitbekommen haben"; ebenso auch die Nachkommen der Gastarbeiter in zweiter oder dritter Generation, die "wegen mangelhafter Integration anfällig für Radikalisierung" seien. Derselbe Lernprozess, den das Christentum gemacht habe, müsse auch der Islam durchlaufen, forderte der ehemalige IKG-Generalsekretär. "Auch im Koran und in den Hadithen müssen antisemitische Auslegungen überwunden werden."
Wurzeln deutlich machen
Die Initiative zum "Tag des Judentums" geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Auch in Italien, Polen und den Niederlanden wird der Tag des Judentums begangen. Das Datum dafür wurde bewusst gewählt: So sollen die Kirchen den Geist dieses Tages in die anschließende weltweite "Gebetswoche für die Einheit der Christen" (18. bis 25. Jänner) weiter tragen; denn bei allen Trennungen der Christenheit untereinander sei allen Kirchen gemeinsam, dass sie im Judentum verwurzelt sind, so die Veranstalter. Die Wiener Einstimmung zu dem Tag wurde von der Initiative "Vernetzte Ökumene Wien West" in Zusammenarbeit mit dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltet.
Gesammelte Berichte zum "Tag des Judentums" sowie zur "Gebetswoche um die Einheit der Christen" bietet ein Kathpress-Themenschwerpunkt unter www.kathpress.at/oekumene